Tidingsbringer
Tieding, Tiedung f., veralt., Nachricht, Zeitung.
Eine kleine Warnemünder Jolle rudert, von schnellen kräftigen Schlägen getrieben, die Warnow herauf. In dem Boot sitzt ein Mann mit seiner Frau. Schon von weitem wird es in Rostock als das des Tidingsbringers erkannt und spannungsvoll erwartet. Jetzt schießt es an das Bollwerk heran. Ein kleiner Mann springt ans Ufer, der Schweiß perlt ihm von der Stirn. “Was gibt’s Neues Jungmann, wer ist heute binnengekommen?” Aber vergeblich sind alle Fragen. Der Tidingsbringer weiß genau, von wem er den klingenden Lohn für seine Neuigkeiten zu erwarten hat. Keine Sekunde darf verloren gehen, an niemand die Nachricht, die er bringt, vorzeitig verraten werden. Atemlos eilt er durch das nahen Fischertor und verschwindet in der Strandstraße. Zuerst klopft er an die Tür des Steuermannes Schütz. “Gute Nachricht, Frau Schütz, Kapitän Lembke ist mit der “ANNA MARIA” im Ansegeln vor Warnemünde. Ihr Mann wird heute Abend noch in den Hafen kommen.” Diese dankt hocherfreut und lässt ein Silberstück in die Hand des Tidingsbringers gleiten. Weiter führt ihn sein Weg jetzt zur Wohnung des Kapitän Krahnstöver und von dort zu den anderen Schiffer- und Steuermannsfamilien, denen er gleichfalls die freudige Mitteilung machen kann, dass günstiger Wind die Schiffe mit ihren Angehörigen auf Warnemünde zusteuern lässt. Der letzte Gang gilt den weiter im Innern der Stadt gelegenen Kontoren der Reeder. Hier nimmt er sich schon etwas mehr Zeit zur ausführlichen Berichterstattung, denn er ist sicher, dass ihm nun keiner mehr mit der Meldung der neuesten Schiffsnachrichten zuvorkommen wird. Bevor nach 1850 wegen des langen und beschwerlichen Landweges die Dampfer zum Hauptverkehrsmittel wurden und 1863 der Anschluss Warnemündes an das Telegrafennetz erfolgte, gab es zwei fest besoldete Tidingsbringer (auch Tidungenbringer) als Nachrichtenübermittler zwischen Rostock und und seinem Vorhafen Warnemünde. Über Bewegungen im Rostocker Schiffsverkehr, über Abgangszeiten, Bestimmungsort und mutmaßlicher Rückkehr wussten diese genauso Bescheid, wie über die Namen, Größe, Teakelung und Kapitäne der Fahrzeuge, die sie mit dem Fernrohr schon von weitem durch Besonderheiten an Rumpf oder takelage erkannten.
(Nachzulesen: Hinterer Pappeinband Tidingsbringer 1-11)
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